“Für mich bitte BIO und REGIONAL"
Ein Weg zur Ernährungssouveränität mit Ursprungsgarantie?
“Für mich bitte Bio und Regional statt Fleisch und Würste”
heißt es immer öfter wenn man einen Spaziergang durch den 15. Bezirk in Wien macht. Rudolfsheim-Fünhaus – das ist der 15. Bezirk in Wien und liegt direkt hinter dem Wiener Gürtel am Westbahnhof. Der Wiener Gürtel, so sagt man, trenne die guten Bezirke von den schlechten. Durchaus hat der 15. Wiener Gemeindebezirk, auch bekannt unter #rudolfscrime, keinen guten Ruf – doch stellt sich die Frage: Ist es in der Tat wirklich so schlecht um ihn gestellt? Ein Blick in die Medien, die Straßen, die Cafés, die Menschen und auch ein Blick in die Food Cooperations des 15. Bezirks zeigen aber auch andere Momentaufnahmen und lassen den schlechten Ruf in Frage stellen.
Aufnahme im 15. Bezirk einer Häuserfassade mit der Aufschrift “Fleisch und Würste”, Quelle: ‘robdiesi’ auf Instagram
Was fällt nun auf, wenn man sich die Medienlandschaft betrachtet? Es zeigt sich, dass neben schlechten Schlagzeilen auch viele positive Schlagzeilen stehen. Vor allem wenn es um Entwicklungen aus den letzten drei Jahren geht, liest man über den 15. Bezirk immer öfter auch “Sanfte Stadterneuerung im Wiener Reindorfviertel” (standard.at; 5. November 2014) oder “Wien 15: „Schmuddelkind“ hübscht sich auf” (wien.orf.at; 22. Juli 2014). Aber auch die Politik des Bezirkes schafft es in die Medien, so schreibt das Wirtschaftsblatt wie folgt: “Nun auch Fünfhaus: Grüne in Wien in 10 Bezirken Nummer 1” (wirtschaftsblatt.at; 26. Mai 2014). Einzelprojekte wie der Schwendermarkt, ein Wiener Wochenmarkt, werden ebenso thematisiert. “Der Schwendermarkt in Wien soll durch Umgestaltung wiederbelebt werden” (vienna.at; 07. Februar 2014) und an Attraktivität für die Bevölkerung gewinnen um wieder als Ort des Treffens und der Kommunikation wahrgenommen zu werden. Vor allem aber ist die Reindorfgasse und ihre rasante, kreative Entwicklung mitunter ein Top-Thema wenn es um Berichterstattungen des 15. Bezirkes geht. “Neuerfindung eines Grätzels: Vom Aufblühen der Reindorfgasse” (diepresse.at; 25. Mai 9015), “Grätzl belebt” (wienerzeitung.at; 15. September 2015) oder “Die Reindorfgasse: Arm, aber Sexy” (kurier.at; 10. Oktober 2014) sind nur einige Beispiele um die Beliebtheit der Reindorfgasse zu verdeutlichen.
Kaffeefreunde in der Reindorfgasse; Quelle: ‘Kaffeefreunde’ auf Instagram
Ein weiterer Blick zeigt aber auch, dass vor allem Food Cooperations im 15. Bezirk besonders auffallen. Food Cooperations sind Lebensmittelkooperativen oder Lebensmittelgemeinschaften, die durch ihre Formierung eine Kritik am gängigen Agrar- und Lebensmittelsystem ausüben. Mit dem Wunsch nach Unabhängigkeit und der Herstellung einer eigenen Ernährungssouveränität, setzen sie sich zum Ziel, biologisch erzeugte Lebensmittel durch die Food Cooperation zu beziehen und durch die Direktvermarktung den Bauer und die Bäuerin zu unterstützen. Zurück zum 15. Bezirk – Warum? Der 15. Bezirk kann gleich drei Food Cooperations sein eigen nennen. Dieser Trend der Ernährungssouveränität in Verbindung mit Food Cooperations ist nämlich auch in den Wiener Medien schon mit einigen Headlines bestätigt worden. Mittlerweile hat sich jedes bekannte Wiener Tagesblatt schon über die aktuellen Trenderscheinungen rund um die neue Ernährungssouveränität ausgesprochen.
Twitter-Beitrag der veganfoodcoop im 15. Bezirk
Twitter-Beitrag der veganfoodcoop im 15. Bezirk
Vor allem 2013 war das Jahr der Food Cooperation-Bewegung in Wien. Mehrfach wurde zu dieser Zeit berichtet, dass Food Coops sich immer größerer Beliebtheit erfreuen, sich im Jahr 2013 in Wien verdoppelt haben und dass man von einer Grünen Revolution aus dem ‘Gemüsekistl’ sprechen kann.
Prinzipiell zeigt das Querlesen aller Artikel, dass Food Coops durchaus ein ernst zu nehmendes Thema sind, wenn es um die alternative Lebensmittelversorgung in Wien geht. Sogar einen kleinen Fernseh-Auftritt hat die Food Coop d’Speis, eine der ältesten Food Cooperations im Wien aus dem 15. Bezirk, im österreichischen TV-Sender ORF2 im Jahr 2012 gehabt.
Food Cooperations in Wien
Wie schon eben kurz erwähnt, haben wir es im 15. Bezirk nicht nur mit einer einzigen Food Cooperation zu tun – gleich drei Food Cooperations haben sich hier zusammengeschlossen und streben nach dem allgemeinen Ziel der Ernährungssouveränität. Wie auch in der Übersichtskarte zu erkennen ist, befinden sich zwei der drei Food Coops im nördlichen Teil des 15. Bezirks und dürfen sich als Nachbarn begrüßen. Im gewachsenen, alten Stadtteil des 15. Wiener Gemeindebezirks befindet sich die dritte Food Cooperation.
Um welche Food Coops im 15. Bezirk handelt es sich?
Die Food Coop d’Speis im 15. Bezirk, eigentlich das Elternpaar aller Food Cooperations in Wien, hat sich 2005 gegründet und ist mit über 100 Mitgliedern auch eine der größeren Food Cooperations in Wien. Durch den schnellen und starken Mitgliederzuwachs und extrem lange Wartelisten in der d’Speis hat sich daraufhin im Jahr 2013 die Allmunde Food Coop gegründet. Warum? – Um die große Nachfrage, einen Platz in einer Food Coop im 15. Bezirk zu bekommen, zu stillen. Auch hier kam es relativ schnell zu einem Anwachsen auf 150 Mitglieder. Die dritte Food Cooperation im Bunde ist die veganfoodcoop. Mit der Gründung 2012 ist sie bis heute dennoch eine der kleineren Food Cooperations im Bunde (ca. 40 Mitgliedern).
Food Cooperations in Rudolfsheim-Fünfhaus, Google Maps
Sind alle Food Coops gleich?
Nein, ganz und gar nicht. Alle Food Coops unterscheiden sich in vielerlei Dingen. So können Food Coops viele unterschiedliche Beweggründe und Ansätze haben um sich zu gründen – so auch die Food Cooperations im 15. Bezirk in Wien. Für KonsumentInnen der Food Coop d’Speis sind die Abläufe zum Beispiel andere, als die der KonsumentInnen der veganfoodcoop.
#Wien #Rudolfscrime #NewYorkCity
Im Vergleich zu anderen Wiener Gemeindebezirken ist der 15. Bezirk ein Bezirk mit den meisten Food Cooperations an der Zahl. Das ist im Verhältnis auch zur Größe des Bezirks überdurchschnittlich viel, denn der 15. Bezirk zählt mit einer Fläche von 3,86 km² eher zu den kleineren Bezirken. Andere Bezirke in Wien zählen zum Beispiel nicht eine einzige Food Cooperation – der 15. Bezirk jedoch gleich Drei davon. Die Stadt Wien kann insgesamt 20 Food Cooperations vorweisen und zeigt im Verhältnis zu 37 Food Cooperations in ganz Österreich auch hier eine starke Konzentration in der Hauptstadt. Auch ein Vergleich mit Deutschland ist sehr spannend und zeigt, dass Österreich im Verhältnis gesehen viel mehr Food Coop-Bewegungen vorzuweisen hat. Hier stellt sich die Frage: Wieso?
Warum erfreuen sich Food Cooperations in Österreich größerer Beliebtheit?
Ein Erklärungsansatz ließe sich aus der biologisch-landwirtschaftlichen Entwicklung Österreichs ableiten. In Österreich spricht man ab 1970 sozusagen von drei Phasen. Diese drei Phasen haben maßgeblich die landwirtschaftliche Entwicklung und somit auch das allgemeine Bewusstsein der Bevölkerung für Lebensmittel, wie auch die Produktion von Lebensmitteln beeinflusst. Schon früh hat man in Österreich auf ökologischen Anbau gesetzt, wie auch für faire Bedingungen der Bauern und Bäuerinnen gekämpft. Schließlich haben auch die Supermarktketten wie Billa, Spar und Merkur reagiert und mit einem sehr dichten Lebensmittelsupermarktnetzwerk und eigenen BIO-Hausmarken den Markt erobert.
Twitter Beitrag der Park Slope Food Coop in New Work City
Nachhaltigkeit kommt groß raus!
Markus Schermer spricht von drei wichtigen Phasen, bezogen auf die Zeit nach 1970, wenn es um Landwirtschaft in Österreich geht. Er beobachtet einen grundlegenden Wandel, nachdem in der Nachkriegszeit des II Weltkrieges auf Modernisierung in der Produktion der Landwirtschaft gesetzt wurde. Seit den 1970er Jahren stellt sich aber ein Umdenken in der Politik, der Bevölkerung und auch bei den Bauern und Bäuerinnen ein. Durch die schnelle landwirtschaftliche Modernisierung, kam es zu strukturellen Problemen, worunter überwiegend Österreichs Bergbauern zu leiden hatten. In der ersten Phase, welche den Wandel nach 1970 einleitet, beschreibt Schermer vor allem das Aufkommen des Nachhaltigkeitsgedanken.
Drei Phasen des dritten Food Regimes nach Markus Schermer
1. Bergbauernpolitik
2. EU-Beitritt Österreichs
3. Green Marketing goes Kommerz
Mit den Ölkrisen 1972 und 1978 veränderte sich das Bewusstsein der Bevölkerung, welches sich in Österreich auch mit dem Einzug der Grünen ins Parlament 1986 ankündigte. Auf die wachsende, ungleiche Entwicklung österreichischer Regionen, setzte man auf einen Strategie-Wechsel in der Landwirtschaft. Man verfolgte ‘Weg von Massenproduktion hin zu qualitiv-hochwertigen, sowie biologisch-nachhaltigen Produkten’.
Damit beginnt auch nach Schermer die zweite Entwicklungsphase in Österreichs Landwirtschaft. Nun sorgt der Beitritt Österreichs in die EU für Unbehagen. Die große Angst vor Preiseinstürzen, sowie vor einem Scheitern des aktuellen landwirtschaftlichen Marktwirtschaftssystem, forderte ein Umdenken und einen Kurswechsel der aktuellen Strategie. Die ökosoziale Agrarpolitik sollte Abhilfe schaffen und Österreich auf einen Beitritt in die EU vorbereiten. Ziel war es hier “zu einer ökologisch verantwortlichen und ökonomisch zweckmäßigen bäuerlichen landwirtschaft-lichen Produktionsweise“ zu gelangen, die “eine sichere und hochwertige Versorgung“ für die Konsumenten und “den Bauern gerechte Einkommen“ gewährleiste, (Hofreiter, M.) zu gelangen. Alle Bemühungen seitens des Staates, die Landwirtschaft Österreichs zu steuern, zeigte sich schließlich auch in einer veränderten Nachfrage seitens der Bevölkerung und schließlich auch in einem veränderten Bewusstsein. 1994, der Beitritt Österreichs in die EU, führte tatsächlich zu einem Preiseinsturz. Eine enorme Zunahme von BIO-Landwirtschaftsbetrieben war zu verzeichnen – denn hier konnten die höchsten Preise auf dem Markt erzielt werden. All diese Entwicklungen münden in der dritten Phase nach Markus Schermer.
“Greening of the mainstream and conventional-ization of alternatives” (Schermer: 2015:127) beherrscht nun die aktuellen Entwicklungen. Diese Phase beschreibt vor allem, wie nun auch nach einer Umstellung der Strukturpolitik in der Landwirtschaft, die kommerziellen Lebenmittel-Einzelhandelsketten reagieren und Gebrauch von einem nachhaltigen Image machen.
“Bauern und Bäuerinnen produzieren im Einklang mit der Natur und ich kann mir die Produkte bei Billa um die Ecke kaufen“ (Sarah-Maria Schmitt, 2015)
In dieser Phase ist zu beobachten, dass Nachhaltigkeit, wie auch ökologisch-angebaute Produkte zum Mainstream werden, indem sie beispielsweise durch hauseigene BIO-Marken von Lebensmittel-Einzelhandelsketten vermarktet werden. Ebenso wird auch das Bild, wie Bauern und Bäuerinnen produzieren, nämlich im Einklang mit der Natur und fairen Arbeitsbedingungen, in die Gesellschaft transportiert. So problematisiert Green Marketing, ein verändertes Ernährungsbewusstsein und manifestierte Klischeevorstellungen der österreichischen Landwirtschaft. Die Produzenten geraten erneut unter einen großen Nachhaltigkeitsdruck, welchem sie eventuell nicht standhalten können.
Green Marketing von Ja!Natürlich, BIO-Hausmarke von Billa (16. Juni 2015)
Um den Kreis wieder zu schließen: Generell herrscht in Österreichs Bevölkerung ein breites Verständnis und Verlangen nach qualitiv-hochwertigen, biologisch-angebauten und nachhaltigen Produkten. Dies zeigt sich auch in der großen Verbreitung der Direktvermarktung. 22 Wiener Märkte vertreiben Produkte, nicht immer BIO, direkt von Produzent zum Kunden. Dennoch herrscht auch viel Kritik und Unverständnis in der Bevölkerung. Vor allem ist man gegen die Kommerzialisierung der Nachhaltigkeit in den Supermärkten. Eine Antwort auf diese Kritik sind zum Beispiel die Food Cooperations in Wien. Interessant ist, hier erneut zu erwähnen, die Häufung und anscheinend größere Kritik im 15. Bezirk im Vergleich zu den anderen Bezirken. Was ist hier anders?
Food Cooperations - Food Coops - Food Co-ops
...oder einfach Lebensmittelkooperativen
Was sind denn überhaupt Food Cooperations?
Ohne jetzt groß mit Fachausdrücken und irgendwelchen Termini um sich zu schmeißen, soll kurz für die Allgemeinheit geklärt werden, was denn überhaupt so eine Food Cooperation ist. Verbindet man schon Begriffe mit Food Cooperations, so sind es meist Alltagsassoziationen wie “biologisch angebaute Lebensmittel” oder auch das “eigenständige Versorgen unabhängig von Lebensmittelsupermärkten”. Mit diesen Assoziationen liegt man auch gar nicht so falsch – dennoch gehören zum Verständnis einer Food Cooperation noch ein paar mehr Worte.
Profis sind dieser Meinung
“Bei Lebensmittelkooperativen schließen sich Konsument*innen in Gruppen zusammen, um gemeinsam ihre Lebensmitteleinkäufe zu organisieren. Die Lebensmittel stammen meist von regionalen kleinbäuerlichen Höfen, die biologisch produzieren. Die Gruppen verwalten sich selbst und treffen gemeinsam demokratische Entscheidungen zu Fragen der internen Organisation und Auswahl von Lieferant*innen.” (Jaklin 2013: 13)
Alternativen ...
An dieser Stelle wären auch die alternativen Begriffe zu erwähnen, welche statt “Food Cooperation” im allgemeinen Sprachgebrauch verwendet werden. Aus der Übersetzung ergeben sich die Bezeichnungen wie Alternative Lebensmittelnetzwerke, Lebensmitteleinkaufsgemeinschaft oder Lebensmittelkooperative. Würde man den Begriff der Food Cooperation, oft auch Food-Co-op geschrieben, wortwörtlich übersetzen, würde man eher auf den Begriff der Lebensmittelgenossenschaft stoßen. Durch diese Übersetzung wird auch die Verwandtschaft zu den Solidarischen Landwirtschaftsinitiativen deutlich, welche auch in Wien vertreten sind. Diese Solidarischen Landwirtschaftsinitiativen sind die sogenannten CSAs (CSA: Community Supported Agriculture). Im 15. Bezirk gibt es eine CSA, die mit der veganfoodcoop in enger Zusammenarbeit steht und somit ihre Produkte vertreibt.
Wer sind die KonsumentInnen?
Männlein oder Weiblein ...
Natürlich ist es auch interessant sich anzuschauen, wer überhaupt so alles in einer Food Coop konsumiert und vor allem warum?
Aus Interviews, Beobachtungen und Recherchen kann man für KonsumentInnen einer Food Coop folgende Merkmale zusammenfassen.
Motivation/Ideologie von KonsumentInnen
- KonsumentInnen wollen wissen, woher das Essen stammt und wie es hergestellt/angebaut wird
- KonsumentInnen wollen die Sicherheit, dass ihre Produkte biologisch angebaut wurden (meistens)
- KonsumentInnen sind für den Verzehr fast ausschließlich regionaler/saisonaler Produkte
- KonsumentInnen sind gegen das ausbeuterische System der Supermärkte
- KonsumentInnen sind für die Herstellung einer eigenen Ernährungssouveränität
- KonsumentInnen sind für die Unterstützung von Kleinbauern auch ohne BIO-Gütesiegel
- KonsumentInnen sind für die Förderung sozialer Interaktion
Charakteristik KonsumentInnen im 15. Bezirk
- Durchschnittsalter der KonsumentInnen 25-35 Jahre
- KonsumentInnen sind größtenteils ältere Studenten oder “frisch” Ausgelernte, jedoch aber auch Familien oder Pensionisten
- KonsumentInnen kommen aus folgenden Einzugsgebieten: 6.,7.,8.,13.,14.,15.,16.,17. Bezirk
- Frauen-, Männerverhältnis von KonsumentInnen ausgeglichen
- typisches Umfeld der KonsumentInnen: Boku, TU Wien, Uni Wien
Allgemein geht als Statement aus den Interviews und Beobachtungen hervor, dass eher ein “höheres intellektuelleres Niveau” [Interview, Allmunde] unter den KonsumentInnen besteht. Dieser Fakt kommt gleichzeitig auch zur Kritik und wird von den Befragten bedauert, da ein Fehlen der lokalen Bevölkerung aus dem 15. Bezirk in vielen Food Cooperations bemerkt wird.
Interview-Ausschnitt mit einem Konsument der Food Cooperation d’Speis über die Zusammensetzung der KonsumentInnen
Aber hier leben? Ja, bitte!
Zwischen Raumveränderung und politischer Aktion
Was kann ich als Konsument bewirken?
Auf die Frage “Was kann ich als KonsumentIn bewirken?” gibt es mehrere Möglichkeiten zu antworten – denn Ich kann als KonsumentIn Einfluss auf viele verschiedene Arten nehmen. Unmittelbare Veränderungen zeigen sich vor allem bei einem selbst. Relativ schnell kann auch das unmittelbare Umfeld durch die eigenen Handlungen und Erlebnisse beeinflusst werden. Allein durch mein Handeln, wie das Besuchen einer Foodcoop, kann ich als KonsumentIn ein politisches Statement abgeben.
“Jede Handlung kann letztlich politisch sein, indem sie – auch unerwartete oder unbeabsichtigte – Folgewirkungen auf den politischen Prozeß hat”(Buse/Nelles in: Alemann(Hg.) 1978, S. 41)
Möglicherweise bin ich als KonsumentIn auf Food Cooperations in Wien und vor allem im 15. Bezirk in Wien aufmerksam geworden, da so viele Medien darüber berichtet haben. Allein durch meine Teilnahme in einer Food Coop und der daraus resultierenden Informationsvermittlung in meinem Umfeld, kann ich im kleinen dafür sorgen, dass weitere Menschen zum einen Informationen erhalten und zum anderen eventuell sogar zu einem Betritt in eine Food Coop animiert werden. Die Öffentlichkeit, hier mein Umfeld, reagiert mit einer immer breiteren Akzeptanz von Food Cooperations. Ein Umdenken bezüglich Ernährungssouveränität breitet sich aus. Kurz gesagt: Mit nur einem Beitritt kann ein weiterer, potentieller KonsumentIn zur aktiven Teilnahme bewegt werden und so setzt sich die Handlungskette weiter fort. Diese Handlungsstränge und Interpretationen würden sich langfristig auswirken, so dass sich immer mehr Menschen in Food Cooperations organisieren, es mehr Foodcoops in dem besagten Gebiet gibt und ein höherer Absatz nachhaltiger, biologischer Lebensmittel zu verzeichnen ist. Eine weitere Folge daraus wäre, dass es zur Eröffnung neuer Formen im Lebensmittelverkauf kommt, mit Spezialisierung auf biologisch angebaute Lebensmittel. Wie wäre es mit einem neuen Denn’s Biomarkt im 15. Bezirk? Alte, bereits bestenhende Einzelhandelsformen wären dadurch bedroht und verschwinden mit einer fortschreitenden ‘Bioisierung’ des Lebensmittelmarktes. Folglich würde es zu einem Anwachsen preislicher Niveauunterschiede kommen, was dazu führt, dass eventuell ursprüngliche Bevölkerungsgruppen nicht mehr in ihrem gewohnten Umfeld ihre Einkäufe erledigen können – die Preisunterschiede für sie sind letztendlich zu hoch. Endergebnis: Ernährungsunsicherheit!
In Brooklyn, First Comes Gentrification, Then Comes a Food Co-op” by Stuart Miller, New York Times
Das klingt nach Gentrification ...
Interview-Ausschnitt über bisherige ‘Gentrifizierungsprozesse’ im 15. Bezirk mit einem Konsument einer Food Cooperation im 15. Bezirk in Wien
Das Auftauchen der Begriffe Gentrification, wie auch Gentrifizierung sind heute keine Seltenheit mehr. Vor allem sehen wir hier, ‘Wissenschaft goes Umgangssprache’. Auch im Zusammenhang mit Food Cooperations taucht neuerdings der Begriff der Gentrification auf. ‘Green Gentrification’ – Gentrifizierungsprozesse begünstigt durch Schaffung, Wiederherstellung oder Sanierung von Grünflächen, stehen oft im Zusammenhang auch mit dem Aufkommen von Food Coops. Warum?
Überlegungen zeigen folgende Schluss-folgerungen auf: Hat ein bestimmtes Viertel oder auch eine bestimmte Stadt viele Food Cooperations vorzuweisen, schließt man auf ein bestimmtes Bewusstsein in der Bevölkerung. Auf Viertelsebene, wie beispielsweise dem 15. Bezirk, schließt man so auf ein verfügbares soziales Niveau. Durch die eigene politische Handlungsmacht und die daraus resultierende, stetige Veränderung, wäre der nächste Schritt, dass im 15. Bezirk tatsächlich ein professioneller BIO-Supermarkt eröffnet.
“Residents are now also apprehensive about the impact of so-called healthy food stores moving into their neighborhood (often with the approval of elected officials) because they signal to developers, real estate agents, and outside residents that it is ‘‘ready’’ to be re-developed“ (Anguelovski 2015: 185).
Kommt es dann zu dem prophezeiten Preisanstieg und einem Wegsterben der anfänglichen Nahrungsmittelversorgung, führt das zu einem Austausch von Bevölkerungsschichten. Wegzüge der ursprünglichen Bevölkerung und Zuzüge neuer Bevölkerungsgruppen bestimmen die weitere Entwicklung – und das alles weil ein Viertel viele Food Cooperations vorzuweisen hat. Kann man dieses Statement so im Raum stehen lassen? Darüber gilt es nachzudenken ...
"Der Giebelgarten gehört Dir" - Abstimmungsaktion der Grünen im 15. Bezirk in der Giebelgasse, direkt neben der veganfoodcoop; Quelle: Eigene Aufnahme, 2015
Woher weiß ich das alles?
Anguelovski, I. (2015): Alternative food provision conflicts in cities: Contesting food privilege, injustice, and whiteness in Jamaica Plain, Boston. In: Geoforum 58. 184-194.
Anguelovski, I. (2014): Food Souvereignity: A Critical Dialogue; Conflicts around alternative urban food provision: Contesting food privilege, food injustice, and coloblindness in Jamaica Plain, Boston.
Buse, M. & W. Nelles (1975): Überblick über die Formen politischer Beteiligung. In: Alemann, Hg. (1978): Partizipation – Demokratisierung - Mitbestimmung. Problemstellung und Literatur in Politik, Wirtschaft, Bildung und Wissenschaft. Eine Einführung.
Gill, S. (2004): Local organic food: The social implications of sustainable consumption. CSERGE Working Paper EDM, No. 04-09.
Gould, K. A. & T. L. Lewis (2012): The Environmental Injustice of Green Gentrification; The Case of Brooklyn’s Prospect Park. In: The World in Brooklyn: Gentrification, Immigration, and Ethnic Politics in a Global City (Hrsg.: De Sena, J. N. & T. Shortell). 113-146.
Hofreither, M.: Ökosoziale Agrarpolitik im Gespräch.
Jaklin,U. (2013): Supermärkte als Gatekeeper im Lebensmittel- und Supermarktsystem; auch online unter: http://www.shabka.org/wp-content/uploads/2013/08/ShabkaBackground_13-2013_supermarkte-als-gatekeeper.pdf (23.06.2015).
Morgan, K. (2014): Nourishing the City: the urban food question. PDF: http://www.gcph.co.uk/assets/0000/4248/Kevin_Miorgan_GCPH_Seminar_Glasgow_2014.pdf (23.06.2015).
Schermer, M. (2014): From “Food from Nowhere” to “Food from Here:” changing producer-consumer relations in Austria.
Wolch, J. R., Byrne, J. & J. P. Newell (2014): Urban green space, public health, and environmental justice: The challenge of making cities ‘just green enough’. In: Landscape and Urban Planning 125. 234-244.
Zeitungsartikel online:
Al-Serori, L. (2014): Die Reindorfgasse: Arm, aber Sexy _ In: Der Kurier, 10.10.2014; auch online unter: http://kurier.at/meinung/kolumnen/stadtspaziergang/die-reindorfgasse-arm-aber-sexy/90.232.785 (18.07.2015).
Rösner, C (2014): Graetzl belebt – In: Die Wiener Zeitung, 15.09.2014; auch online unter: http://www.wienerzeitung.at/nachrichten/wien/stadtleben/660462_Graetzl-belebt.html (18.07.2015).
Die Presse (2015): Neuerfindung eines Grätzels: Vom Aufblühen der Reindorfgasse – In: Die Presse, 25.06.2015; auch online unter: http://diepresse.com/home/panorama/wien/4763323/Neuerfindung-eines-Graetzels_Vom-Aufbluhen-der-Reindorfgasse (18.07.2015).
Vienna Online (2014): Der Schwendermarkt in Wien soll durch Umgestaltung wiederbelebt werden – In: Vienna Online, 07.02.2014; auch online unter: http://www.vienna.at/der-schwendermarkt-in-wien-soll-durch-umgestaltung-wiederbelebt-werden/3853764 (18.07.2015).
Wirtschaftsblatt (2014): Nun auch Fünfhaus: Grüne in Wien in 10 Bezirken Nummer 1 - In: Wirtschaftsblatt, 26.05.2014; auch online unter: http://wirtschaftsblatt.at/home/nachrichten/oesterreich/wien/3812112/Nun-auch-Funfhaus_Grune-in-Wien-in-10-Bezirken-Nummer-1 (18.07.2015).
Schöndorfer, N. (2014): Wien 15: „Schmuddelkind“ hübscht sich auf - In: wien.ORF.at, 22.07.2014; auch online unter: http://wien.orf.at/news/stories/2655225/ (18.07.2015).
Minkin, C. (2014): Sanfte Stadterneuerung im Wiener Reindorfviertel – In: Der Standard, 05.11.2014; auch online unter: http://derstandard.at/2000007765088/Sanfte-Stadterneuerung-im-Wiener-Reindorfviertel (18.07.2015).
Nussbaum Cohen, D. (2015): BDS Feud Returns to Brooklyn’s Park Slope Food Coop – In: Forward, 23.05.2015; auch online unter: http://forward.com/news/breaking-news/308788/bds-feud-returns-to-brooklyns-park-slope-food-coop/ (18.07.2015).
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Fasching, M. (2013): Lebensmittelkooperativen innerhalb eines Jahres vedoppelt – In: Der Standard, 20.11.2013; auch online unter: http://derstandard.at/1381374033047/Shareholder-Value-auf-dem-Acker (18.07.2015).
Wien.ORF.at (2013): Food Coops mit immer mehr Zulauf; auch online unter: http://wien.orf.at/news/stories/2578611/ (18.07.2015).
Kirchmayr, K. (2013): Grüne Revolution aus dem Gemüsekistl – In: Der Standard, 24.09.2013; auch online unter: http://derstandard.at/1379291897208/Gruene-Revolution-aus-dem-Gemuesekistl (18.07.2015).
Rachbauer, S. (2013): Foodcoops in Wien: Gemeinsam die Industrie austricksen – In: Der Standard, 24.03.2013; auch online unter: http://derstandard.at/1363705886286/Foodcoops-Gemeinsam-die-Industrie-austricksen (18.07.2015).
Kapeller, M. (2010): Dem Supermarkt Good Bye gesagt – In: Der Standard, 18.03.2010; auch online unter: http://derstandard.at/1268402766155/Dem-Supermarkt-Good-Bye-gesagt (18.07.2015).
Social Media
Ja!natürlich (2015): Bio-Rindfleisch, so vielfältig, so wertvoll! Reich an Eiweiß, Vitamin B12, Eisen, Zink und Selen; auch online unter: https://twitter.com/ja_natuerlich/status/610776589421400066 (18.07.2015).
parkslopefoodcoop (2014): #brooklyn #parkslopefoodcoop #parkslope #coop #community; auch online unter: http://websta.me/p/1007964952587777649_593905620 (18.07.2015).
robdiesi (2015): robdiesi#fleisch und wurst #rudolfsheim aefflepferd #esc2015; auch online unter: https://instagram.com/p/2gkKCyAleO/ (18.07.2015).
kaffeefreunde (2014):#kaffeefreunde #tanzen#reindorfgasse; auch online unter: https://instagram.com/p/skhZcuBgR8/ (18.07.2015).
Video
Food Coop d’Speis in einem Beitrag in der Sendung “Winterzeit” vom 24.02.2012; auch online unter: https://www.youtube.com/watch?v=NKPppzIkxTQ (18.07.2015).